🐋
Walhandel

ATR: Average True Range für Stops und Positionsgröße nutzen

In diesem Artikel geht es um ATR (Average True Range).

Auf den ersten Blick wirkt ATR oft wie:

  • „eine weitere Zahl im Indikatorfenster“ oder
  • ein grober Hinweis auf „hohe vs. niedrige Volatilität“.

Mit einer etwas anderen Perspektive wird ATR zu:

„dem typischen Weg, den der Markt pro Kerze
auf diesem Timeframe zurücklegt“
,
ausgedrückt als eine Kennzahl.

Damit hilft ATR zu entscheiden:

  • wie weit oder eng der Stop gesetzt werden sollte und
  • wie groß die Position bei einem bestimmten Kontorisiko sein darf.

Die folgende Grafik vergleicht:

  • oben: den Kursverlauf zweier Märkte mit unterschiedlicher Volatilität,
  • unten: Positionsgrößen beim gleichen Kontorisiko,
    wenn ATR-basierte Stops verwendet werden.

Zentrale Aussage:

Auch bei identischem 1%-Kontorisiko
sollte die Positionsgröße in hochvolatilen Märkten kleiner
und in ruhigen Märkten größer sein.

ATR liefert die Zahlenbasis, um das nicht nur „gefühlt“,
sondern berechenbar umzusetzen.


1. Was ist ATR? – Average True Range

ATR steht für Average True Range.

Die „True Range“ misst typischerweise:

  • nicht nur die Differenz Hoch–Tief der aktuellen Kerze, sondern auch
  • etwaige Gaps zum vorherigen Schlusskurs,

um zu beantworten:

„Wie weit hat sich der Kurs in dieser Kerze
tatsächlich bewegt?“

Anschließend wird:

  • die True Range über einen Zeitraum (z.B. 14 oder 20 Kerzen) gemittelt –
    das Ergebnis ist ATR.

Damit sagt ATR aus:

  • wie groß die typische Kerzenbewegung
    auf diesem Markt und Timeframe ist.

2. ATR als „Volatilitätseinheit“ verstehen

ATR wird deutlich nützlicher,
wenn man es als Einheit für Volatilität betrachtet,
nicht nur als Preiszahl.

Beispiel:

  • BTC 4h ATR = 400 USD,
  • ETH 4h ATR = 20 USD.

Dann bedeutet „1 ATR“:

  • BTC: eine typische 4h-Kerze bewegt sich um etwa 400 USD,
  • ETH: eine typische 4h-Kerze bewegt sich um etwa 20 USD.

Daraus ergeben sich Überlegungen wie:

  • „Ein Stop von ca. 2 ATR hält im Schnitt
    normales Rauschen auf diesem Timeframe aus.“
  • „Bei Stops > 3 ATR wird das Kontorisiko zu groß,
    also muss die Positionsgröße reduziert werden.“

So werden Stops und Risiko in Volatilitätseinheiten
statt in zufälligen Ticks oder Dollar gedacht.


3. ATR-basierte Stops: Rauschen überleben

Wie in /trading/risk-management beschrieben,
ist ein Stop nicht nur dazu da, Verluste zu begrenzen,
sondern auch:

„die minimale Distanz, die einen Trade
vor gewöhnlichem Marktrauschen schützt.“

ATR hilft, dieses „typische Rauschen“ zu quantifizieren.

3-1. Grundidee: X ATR vom Einstieg

Ein verbreiteter Ansatz:

  • Long:
    • Stop 1,5–3 ATR unter dem Einstieg.
  • Short:
    • Stop 1,5–3 ATR über dem Einstieg.

Beispiel:

  • BTC 4h ATR = 400 USD,
  • Long-Einstieg = 50.000,
  • Stop = 50.000 − 2 × 400 = 49.200.

Bedeutung:

  • der Trade darf sich etwa zweimal so weit wie die typische 4h-Bewegung
    gegen Sie entwickeln, bevor er als „falsch“ gilt.

3-2. Swing vs Intraday: Multiplikator anpassen

  • Swing-Trading (4h / Daily):
    • 2–3 ATR Stops sind üblich,
    • da größere Swings gehandelt werden und Trades mehr Luft bekommen.
  • Intraday / Scalping (1–15 Minuten):
    • eher 1–2 ATR,
    • bei aktiverem Management und häufigeren Neueinstiegen.

Es gibt keinen universellen „richtigen“ Multiplikator;
entscheidend ist die Konsistenz mit der eigenen Strategie
und den Regeln aus
/trading/risk-management.


4. ATR und Positionsgröße: Gleiches Risiko, andere Größe

Wenn der Stop ATR-basiert ist,
stellt sich die Frage der Positionsgröße.

Wie in /trading/risk-management:

  1. Risikoprozent pro Trade festlegen,

    • z.B. 1 % oder 0,5 % des Kontos.
  2. Einstieg–Stop-Distanz in Preiswert berechnen,

    • z.B. 2 ATR.
  3. Positionsgröße = (erlaubter Verlust) ÷ (Stopdistanz).

Damit wird Volatilität automatisch berücksichtigt:

  • Hohe Volatilität:
    • ATR groß → Stop weit →
      Positionsgröße klein.
  • Niedrige Volatilität:
    • ATR klein → Stop eng →
      Positionsgröße groß.

In Kurzform:

„Mehr Volatilität → kleinere Position,
weniger Volatilität → größere Position“ –

und das nicht aus dem Bauch heraus,
sondern mit konkreten Zahlen.


5. ATR über Timeframes, Märkte und Regime hinweg lesen

ATR-Werte können isoliert betrachtet täuschen.
Besser ist es, drei Aspekte mitzudenken:

  1. Timeframe

    • ATR im 1-Minuten-, 1-Stunden- und Tageschart
      haben völlig unterschiedliche Skalen.
    • Wie in /trading/chart-basics/timeframes
      sollte der Fokus auf dem Timeframe liegen,
      in dem Sie tatsächlich Entscheidungen treffen.
  2. Markteigenschaften

    • Einige Coins sind von Natur aus sehr volatil,
    • andere strukturell ruhiger.
    • Beim Cross-Asset-Vergleich helfen u.a.:
      • ATR / Preis (relative Volatilität) und
      • der Vergleich von ATR mit den eigenen historischen Werten.
  3. Marktregime

    • In längeren Seitwärtsphasen kann ein plötzlicher ATR-Anstieg
      auf den Beginn eines neuen Trends hinweisen.
    • Nach langen Trends deutet ein sinkender ATR
      häufig auf nachlassende Energie und
      den Übergang in eine Konsolidierung hin.

6. ATR mit anderen Werkzeugen kombinieren

ATR gibt alleine selten klare Kauf-/Verkaufssignale,
sondern entfaltet seine Stärke in Kombination.

Typische Kombinationen:

  1. Trendindikatoren (MA, MACD, ADX etc.)
    /trading/indicators/trend

    • Zuerst Trend vs Range bestimmen,
    • dann mit ATR eine passende Stopdistanz
      innerhalb dieses Kontexts festlegen.
  2. Oszillatoren (RSI, Stoch etc.)
    /trading/indicators/oscillators

    • Swing-Position (überkauft/überverkauft)
      mit der aktuellen Volatilität laut ATR kombinieren.
  3. Volatilitätsbänder (Bollinger Bänder usw.)
    /trading/indicators/volatility/bollinger-bands

    • Bänder zeigen Squeezes und Ausweitungen,
    • ATR übersetzt das in konkrete Stops und Positionsgrößen.
  4. Risikomanagement-Regeln
    /trading/risk-management

    • ATR ist ein Werkzeug zur Berechnung von Stop und Size,
      ersetzt aber keine übergeordneten Verlustlimits.

7. Praktischer ATR-Check

Wenn ein ATR-Setup interessant aussieht,
hilft ein kurzer Check:

  1. Auf welchem Timeframe ist dieser ATR?

    • Passt er zu dem Timeframe, in dem Sie handeln?
  2. Ist der ATR derzeit hoch oder niedrig gegenüber der jüngeren Historie?

    • Befinden wir uns in einem unruhigen oder ruhigen Umfeld?
  3. Wie viele ATR umfasst Ihr Stop?

    • Zu eng (< 1 ATR) → Gefahr, ständig ausgestoppt zu werden.
    • Zu weit → Risiko, das Kontorisiko zu überziehen.
  4. Ist die Positionsgröße mit Ihren Risikoregeln konsistent?

    • Über Assets und Volatilitätsregime hinweg?
  5. Kombinieren Sie ATR mit Kontext?

    • Trend/Range, Support/Resistance, Struktur, Volumen etc.

Im nächsten Artikel
/trading/indicators/volatility/adr werden wir:

  • mit ADR (Average Daily Range) abschätzen,
    welche Tagesbewegung für einen Markt „normal“ ist, und
  • darauf basierend Ziele, Stops und Tagesverlustlimits
    für kurz- bis mittelfristige Trades planen.

In diesem Gesamtbild lässt sich ATR am besten verstehen als:

„Lineal für die Volatilität pro Kerze“
ein Werkzeug, um chaotische Kursbewegungen
in nutzbare Zahlen für Stops und Positionsgrößen zu übersetzen.