RSI-Mean-Reversion-Strategie: Überkauft/Überverkauft als Rückkehr zum Mittelwert verstehen
In diesem Artikel geht es um eine Mean-Reversion-Strategie auf Basis des RSI.
Wir setzen voraus, dass Sie RSI bereits gelesen haben und wissen:
- wie der RSI Kursmomentum in eine Skala von 0 bis 100 komprimiert,
- warum Bereiche wie 30/70 oder 20/80 häufig als überverkauft/überkauft verwendet werden,
- dass der RSI in Trendphasen leicht von „überkauft“ zu „noch stärker überkauft“ bzw. von „überverkauft“ zu „noch stärker überverkauft“ weiterlaufen kann.
Hier wollen wir einen Schritt weitergehen.
Statt bei:
„RSI bei 70 → immer Short,
RSI bei 30 → immer Long“
stehenzubleiben, stellen wir eine andere Frage:
„In welchen Marktumgebungen
haben RSI-Überkauft/Überverkauft-Zonen
tatsächlich eine hohe Mean-Reversion-Wahrscheinlichkeit?“
Darauf aufbauend entwerfen wir den Rahmen der Strategie.
Die folgende Grafik zeigt:
- links: einen Range-Markt,
in dem der RSI zwischen 30 und 70 pendelt und
Überverkauft (nahe 30) häufig zu Erholungen, Überkauft (nahe 70) zu Rücksetzern führt, - rechts: einen starken Aufwärtstrend,
in dem der RSI längere Zeit über 70 bleibt und
stetiges Shorten nur aufgrund „überkauft“ zu aufeinanderfolgenden Verlusten führt.
Dieses Verständnis ist entscheidend, um zu unterscheiden,
- wann Sie Trendfolge-Setups aus Trendfolge nutzen und
- wann Sie Mean-Reversion-Setups aus Mean Reversion einsetzen sollten.
1. Wie wird der RSI in dieser Strategie eingesetzt?
Der RSI wird meist so erklärt:
- über 70: überkauft → Short-/Verkaufs-Kandidat,
- unter 30: überverkauft → Long-/Kauf-Kandidat.
Das Problem: Diese Erklärung ignoriert die Marktumgebung vollständig.
In der Praxis sind vor allem folgende Punkte wichtig:
- Nicht nur der RSI-Wert an sich, sondern in welchem Regime sich das Muster wiederholt;
- Ob der Markt in einem starken Trend oder in einer Range/langsamen Trendphase ist;
- Wie der RSI mit S/R, Patterns und Volatilität zusammenspielt.
In dieser Strategie verwenden wir den RSI als:
-
Umgebungsfilter
- ist die aktuelle Umgebung überhaupt für eine Mean-Reversion-Strategie geeignet, oder
- sollten Sie eher Trendfolge einsetzen?
-
Werkzeug zur Markierung von Signalkandidaten
- nicht als „Einstieg nur aufgrund des RSI-Werts“,
sondern zur Markierung von Zonen, in denen Signale nahe Überkauft/Überverkauft wahrscheinlicher sind.
- nicht als „Einstieg nur aufgrund des RSI-Werts“,
-
Sekundären Indikator in Kombination mit anderen Werkzeugen
- Unterstützungen/Widerstände aus S/R,
- Candle-Patterns aus Candle Patterns,
- Stops, Ziele und Positionsgrößen auf Basis von ATR,
um konkrete Einstiegstrigger zu definieren.
Kurz gesagt:
Der RSI dient als „Filter und Zonierungswerkzeug zur Eingrenzung von Mean-Reversion-Kandidaten“
und nicht als alleiniger „Kauf-/Verkaufsentscheid“ auf Basis einer Zahl.
2. Einstellungen und Timeframes: 14-Perioden-RSI, Daily + 4H
Die gängigen Standardeinstellungen sind:
- Periode: 14 (RSI 14);
- Referenzzonen: 30/70 oder konservativer 20/80.
In dieser Strategie nutzen wir:
- RSI im Tageschart → zur Beurteilung, ob die Umgebung für Mean Reversion geeignet ist,
- RSI im 4-Stunden-Chart → zur Unterstützung des Einstiegs-Timings innerhalb dieser Umgebung.
Andere Kombinationen (4H/1H, 1H/15m usw.) sind möglich,
wichtig ist die Rollentrennung:
- höherer Timeframe: Umgebungsfilter,
- niedrigerer Timeframe: Timing von Ein- und Ausstieg.
3. „RSI-freundliche“ vs. „RSI-unfreundliche“ Umgebungen
3-1. Umgebungen, in denen RSI-Mean-Reversion gut funktioniert
Auf Tagesbasis deuten folgende Überschneidungen häufig auf eine
günstige Umgebung für RSI-Mean-Reversion hin:
- gemäß MA
schwankt der Kurs um eine langfristige MA herum, mit begrenzter Schwankungsbreite; - gemäß S/R
gibt es eine klar definierte Box mit Range-Ober- und Untergrenze; - RSI 14 pendelt wiederholt zwischen 30 und 70,
und es gibt viele Beispiele für Erholungen nahe 30 und Rücksetzer nahe 70.
Dann gilt:
- Range-Oberseite/Widerstand + RSI überkauft (ca. 70–80) → Short-Mean-Reversion-Kandidat;
- Range-Unterseite/Unterstützung + RSI überverkauft (ca. 30–20) → Long-Mean-Reversion-Kandidat.
Sie können sich das wie ein klar aufgebautes „Schachbrett“ vorstellen.
3-2. Umgebungen, in denen RSI-Mean-Reversion gefährlich ist
Ungünstige Umgebungen für RSI-Mean-Reversion sehen dagegen so aus:
- gemäß MA-60
läuft der Kurs deutlich trendförmig in eine Richtung und bleibt über (oder unter) der MA-60; - gemäß DMI/ADX
liegt der ADX über der Schwelle und signalisiert einen starken Trend; - der RSI bildet eine länger anhaltende „Flat-Zone“ über 70 (oder unter 30),
und Rücksetzer aus Überkauft/Überverkauft sind flach,
bevor der Kurs den Trend fortsetzt.
In dieser Umgebung führt:
- permanentes Shorten bei RSI 70 oder
- permanentes Longgehen bei RSI 30
nicht zu „Mean Reversion“, sondern zu wiederholtem Kampf gegen einen starken Trend.
Kernpunkt:
RSI-Mean-Reversion sollte nur in Märkten eingesetzt werden,
in denen das Konzept „Rückkehr zum Mittelwert“ Sinn ergibt –
also dort, wo die Trendstärke nicht dominant ist.
4. Grundstruktur: Box-Level + RSI-Überkauft/Überverkauft
Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an –
zunächst für eine Long-Mean-Reversion-Idee.
-
Umgebung (Daily)
- laut S/R
ist eine klar definierte Range-Unterseite als Unterstützung erkennbar; - der Kurs pendelt mehrfach zwischen Range-Top und Range-Bottom;
- RSI 14 ist in der Vergangenheit mehrfach nahe 30 nach oben gedreht.
- laut S/R
-
Bedingung 1: Kurs berührt die Range-Unterseite
- der Kurs nähert sich einer Unterstützung,
von der aus es in der Vergangenheit mehrmals Erholungen gab; - prüfen, ob es sich nicht um einen einseitigen Durchbruch nach unten handelt
(dann wäre es eher ein Kandidat für Trendfolge).
- der Kurs nähert sich einer Unterstützung,
-
Bedingung 2: RSI wird überverkauft oder nähert sich diesem Bereich (4H)
- im 4-Stunden-Chart fällt RSI 14 unter 30
oder das Abwärtsmomentum flacht zumindest im Bereich um 30 ab; - selbst wenn der RSI tiefer (Richtung 20) fällt,
ist das kein Grund, nur aufgrund des RSI-Werts blind einzusteigen –
Struktur des Preises kommt zuerst.
- im 4-Stunden-Chart fällt RSI 14 unter 30
-
Bedingung 3: Candle-Patterns und Volatilitätscheck
- nach Candle Patterns treten Muster auf,
die nachlassenden Verkaufsdruck anzeigen
(lange Lunten nach unten, bullish engulfing, inside bars usw.); - gemäß ATR
passt die Stop-Distanz (1R) bei einem Durchbruch der Range-Unterseite
in die Regeln von Risikomanagement.
- nach Candle Patterns treten Muster auf,
-
Einstieg, Stop und Ziel
- Einstieg: Schlusskurs der 4H-Signalkerze
oder nach kurzer zusätzlicher Bestätigung; - Stop:
- unterhalb der Range-Unterseite mit Puffer oder
- 1,0–1,5 ATR tiefer;
- Ziel:
- mindestens 1:2 R/R,
- konservativ: Range-Mitte bis Range-Oberseite als erstes Ziel.
- Einstieg: Schlusskurs der 4H-Signalkerze
Für Short-Mean-Reversion kehren Sie die Struktur um:
- Range-Oberseite/Widerstand + RSI überkauft (ca. 70–80),
- bärische Candle-Patterns (lange obere Lunten, bearish engulfing usw.),
- Stop über der Range-Oberseite plus ATR-Puffer,
- Ziele um die Range-Mitte bis Range-Unterseite.
5. Daily vs. 4H: Multi-Timeframe-RSI
5-1. Daily: RSI als Umgebungsfilter
Der RSI im Tageschart wird wie folgt genutzt:
- RSI pendelt wiederholt in einer 40–60-Box + Range-Struktur im Kurs
→ Mean-Reversion-Strategien bevorzugen; - RSI ist einseitig verschoben (z.B. dauerhaft im Bereich 50–80) +
steigende Trendstärke gemäß DMI/ADX
→ Mean Reversion zurückstellen, zuerst Trendfolge prüfen.
Mit anderen Worten, der Tages-RSI ist:
„ein Schalter, der vorgibt,
ob Sie den Chart mit Mean-Reversion- oder mit Trendfolge-Brille betrachten sollten“.
5-2. 4H: RSI als Trigger- und Timing-Werkzeug
Wenn die Umgebung als Mean-Reversion-freundlich eingestuft ist,
wird der 4H-RSI zum Trigger- und Timing-Werkzeug.
Für Longs:
- Daily: Range-Unterstützung + RSI pendelt zwischen neutral und überverkauft;
- 4H: RSI 14 wird nahe der Unterstützung überverkauft (unter 30) →
Candle-Patterns deuten Erholung an → Long-Einstieg in Betracht ziehen.
Für Shorts wenden Sie die Logik spiegelbildlich an.
Wichtig:
Zuerst „Umgebung (Daily)“, dann „Trigger (4H)“.
Nur aufgrund von 4H-RSI-Werten zu handeln, ist keine robuste Strategie.
6. Typische Fallen bei RSI-Mean-Reversion
6-1. „RSI 70 → immer Short, RSI 30 → immer Long“
In starken Trends kann der RSI:
- von überkauft zu „noch stärker überkauft“ weiterlaufen oder
- von überverkauft zu „noch stärker überverkauft“ fallen.
Wer mit der Erwartung
„irgendwann muss es doch drehen“
ständig gegen den Trend einsteigt,
sammelt oft schneller Verluste, als ihm lieb ist.
Lösung:
- zuerst die Trendstärke mit MA-60
und DMI/ADX beurteilen; - Mean-Reversion-Strategien auf nicht stark trendende Märkte beschränken.
6-2. Stures Halten, wenn die Range bricht
Ranges (Unterstützung/Widerstand) brechen irgendwann.
Ab diesem Punkt muss sich die gesamte Strategieausrichtung ändern.
- Dass ein Level mehrfach gehalten hat,
bedeutet nicht, dass es ewig halten wird. - Wenn die Range-Unterseite deutlich bricht,
ist es oft sinnvoll, Trendfolge in Betracht zu ziehen.
Lösung:
- den in Risikomanagement festgelegten 1R-Stop respektieren;
- das Szenario „Range-Bruch“ vor dem Einstieg durchdenken
und nach einem Stop nicht an Mean Reversion klammern,
sondern den Chart als potenzielle Trendfolge-Situation neu bewerten.
6-3. Übermäßiger RSI-Einsatz auf sehr kurzen Timeframes
- Auf sehr kurzen Timeframes (5m, 1m) spiegeln RSI-30/70-Zonen
überwiegend Marktrauschen wider. - Unter Berücksichtigung von Gebühren und Slippage
kann das permanente Traden kleinster Mean-Reversion-Bewegungen
leicht zu einem negativen Edge werden.
Lösung:
- zunächst mit Daily + 4H arbeiten,
wo Rauschen besser gefiltert ist; - erst wenn das System auf höheren Timeframes robust ist,
ggf. auf Intraday-Levels heruntergehen.
7. Vor- und Nachteile der RSI-Mean-Reversion-Strategie
7-1. Vorteile
- Ergänzt Trendfolge und ermöglicht
ein Portfolio aus Trendfolge- und Mean-Reversion-Strategien. - In Ranges oder langsam trendenden Phasen
lassen sich relativ klare Stop-/Ziel-Strukturen definieren. - RSI ist einfach einzurichten und auf nahezu jeder Börse und Chart-Plattform verfügbar.
7-2. Nachteile und Hinweise
- In starken Trends wird RSI-Mean-Reversion faktisch zur Kontra-Trend-Strategie,
die das Konto belasten kann. - Beim Bruch einer Range kann der Gedanke
„der Kurs wird schon wieder zum Mittelwert zurückkehren“
dazu verleiten, Stops hinauszuzögern. - Aus Sicht von Risikomanagement gilt:
Ohne klare Regeln zu R/R, maximalem Risiko und Positionsgröße
kann auch eine „Mean-Reversion-Strategie“ das Konto stark schädigen.
8. Fragen, die Sie vor einem RSI-Signal prüfen sollten
Immer wenn ein „schönes“ Überkauft-/Überverkauft-Signal im RSI erscheint,
lohnt es sich, mindestens die folgenden Fragen zu stellen:
-
„Auf Tagesbasis –
handelt es sich um eine Range-/Slow-Trend-Phase
oder um einen starken Trend?“ -
„Bestätigen MA,
MA-60
und DMI/ADX,
dass Mean Reversion hier sinnvoll ist?“ -
„Befindet sich der Kurs gemäß S/R
in der Nähe einer Range-Ober-/Unterseite
oder eines wichtigen Unterstützungs-/Widerstandsniveaus?“ -
„Hat der 4H-RSI nach Eintritt in die Überkauft-/Überverkauft-Zone
Candle-Patterns gemäß Candle Patterns
gezeigt, die eine tatsächliche Umkehr andeuten?“ -
„Passen Stop, Ziel und Positionsgröße
in mein Risikomanagement-Regelwerk?“
Der praktischste Blick auf RSI-Mean-Reversion ist:
„eine Strategie, die die Tendenz zur Rückkehr zum Mittelwert
in nicht stark trendenden Marktphasen nutzt“.
- Auf dem höheren Timeframe (Daily)
entscheiden Sie zunächst, ob die Umgebung Mean-Reversion-freundlich ist. - Auf dem niedrigeren Timeframe (4H)
kombinieren Sie RSI mit Preisstruktur und Volatilität,
um Einstiege und Risikomanagement für die Rückkehrbewegung zu planen.
In Kombination mit Trendfolge
kann RSI-Mean-Reversion so eine zweite tragende Säule Ihres Systems bilden
und dabei helfen, die Schwankungen der Equity-Kurve insgesamt zu glätten.